Die Christnacht in der Friedhofskirche


Eine Frau aus Weckersdorf wollte nach Braunau in die Christnacht gehen. Ihr Weg führte sie an der Friedhofskirche vorüber. Schon von weitem sah sie das Gotteshaus erleuchtet. Noch mehr wunderte sie sich, als sie Orgeltöne und Gesang erklingen hörte. Gewiß, dachte sie, wird heuer auch an diesem Orte die Christnacht gefeiert.
Da ein grimmige Kälte herrschte, beschloß das Weib, der Christmette hier beizuwohnen und sich den halben Weg zu ersparen. Sie trat in das Gotteshaus. Dichtgedrängt saßen die frommen Beter in den Bänken. Endlich fand sie ein knappes Plätzchen in der letzten Bank, hart neben der Kirchentür. Vor Kälte hüllte sie sich, wie die anderen fest in ihr Tuch. So wohnt sie in Andacht versunken der Messe bis zum Segen bei. Beim letzten Evangelium steht sie auf und gewahrt zufällig, daß ihrer Nachbarin das Tuch vom Kopfe herabgerutscht ist und diese es wieder heraufnehmen will. Da erkennt sie, daß es ihre vor wenigen Tagen begrabene Gevatterin ist, mit der sie selbst zu Grabe gegangen ist. Entsetzen erfaßt das Weib, ein Sprung - und sie ist durch die offene Kirchentür ins Freie gelangt. In ihrer Angst scheint ihr, als ob sie die Versammelten mit den Armen zu haschen suchen.
Sie läßt ihr Tuch fallen und eilt, so schnell sie kann, nach Hause.
Am heiligen Christtage wunderte sich der Totengräber nicht wenig, auf den Gräbern der im letzten Jahr Verstorbenen Stücke eines Frauentuches zu finden.
Die Frau wurde krank, und nach wenigen Tagen begrub man sie an der Seite ihrer Gevatterin.



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