Das Raubschloß auf dem Barzdorfer Gebirge


Alte Leute wußten zu erzählen, daß auf der Höhe des Gebirges vor vielen hundert Jahren ein Raubschloß gestanden hätte, dessen Bewohner alles weit und breit umher unsicher machten und überall Angst und Schrecken verbreiteten.
Da geschah es einst, daß ein Kaufmann mit Frau und Tochter Geschäfte halber dieses Gebirge passieren mußte, von den Rittern aber beraubt und auf den Rat der Burgfrau, welche die Bürgersleute haßte, ins Burgverlies gesperrt wurden, wo sie elend zugrunde gingen. Auf diese Schreckensnachricht hin sei von den Stadtbewohnern, so erzählt man, eine feierliche Prozession gehalten und die seligste Jungfrau gegen die Gewalttätigkeiten der Ritter um Hilfe gebeten worden.
Und siehe da! Die Nacht geht geräuschlos vorüber, der neue Tag bricht an, es wird immer heller; aber die unheimlichen Hörnerklänge der Burgwächter wollen nicht mehr erschallen, das Geklirre der blinkenden Waffen und der langen Schwerter, das Tummeln der schäumenden Rosse mischte sich nicht mehr in das Heulen des Windes dort oben. Es herrschte jetzt dort Totenstille, nur der Wind winselte, johlte und seufzte und stille Trauer umlagerte die Stätte, die früher Freude und Leben atmete; denn die Ritterburg war in eine Felsenburg verwandelt worden.
Und nur einmal im Jahre, in der Mitternacht zur Zeit des hohen Weihnachtsfestes, wenn der Priester in der Kirche die Mette liest, zur Erinnerung an die Geburt des Heilands, da öffnet sich die Burg, solange eben die Mette dauert, dann schließt sie sich wieder von selbst und der kalte Wind winselt und johlt und heult wieder an den kahlen Wänden vorüber.
Ein Barzdorfer Müller, so erzählt man, soll zufällig um diese Zeit übers Gebirge gegangen sein. Er war nicht wenig erschrocken, als er in der versteinerten Burg ein einsames Licht erblickte. Er trat näher und oh Wunder! da sieht er die Burg offen stehen. Er schritt weiter und erblickte in einem großen dunklen Rittersaal, von einem kleinen Lampenlicht nur spärlich erleuchtet, an einem runden Eichentische eine wunderschöne Jungfrau sitzen. Wehmut prägt ihr schönes Antlitz. Auf ihrem Schoß liegt ein Leinenhemd, an dem sie jährlich einen Stich näht. Bis auf den letzten Ärmel ist es schon fertig. Wenn es vollendet ist, kommt der jüngste Tag, wo sie zugleich von ihren Leiden und ihrer Buße erlöst wird.



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